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2. Oktober

Der Wacholder

Elia ging in die Wüste und setzte sich unter einen Wacholder und bat, dass seine Seele stürbe, und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele, ich bin nicht besser denn meine Väter. 1. Könige 19,4

Da hat einer um Gottes Sache bis aufs Blut geeifert und gekämpft. Unter seinem vollmächtigen Wort sind die Haufen der falschen Baalspfaffen verzehrt worden. Blut ist geflossen um des Glaubens, um Gottes willen. Und nun umfängt den Propheten die Einsamkeit der Wüste. Er hat fliehen müssen. Zusammengesunken sitzt der gewaltige Mann unter einem Wacholder, und sein Herz erbebt in der Erkenntnis: "Ich bin nicht besser als meine Väter." Es gibt Stunden, wo der Eifer um Gottes Ehre in der Gemeinde Gottes machtvoll aufbricht. Menschen können solche Stunden nicht machen. Wehe denen, die solche Stunden eigenmächtig und nicht in göttlicher Vollmacht vom Zaun reissen würden. Solch eine Gottesstunde war auch die Reformation des 16. Jahrhunderts. Auch da überkam ein heiliger Eifer um Gottes Ehre einen Teil der Christenheit. Auch da kam es bis zum Blutvergiessen um des Glaubens willen. Und doch war es eine Gottesstunde, trotz Servet*, trotz Kappel**, trotz Luthers Haltung zu Bauern und Täufern, trotz allem Menschlich-Allzumenschlichen, das da mit unterlief, es war eine Gottesstunde. Wenn es Gott ist, der solche Männer erweckt, wenn ihr Eifer heiliger Eifer ist, dann führt Gott sie zur Erkenntnis: "Ich bin nicht besser als meine Väter", dann führt Gott sie unter den Wacholder der persönlichen Busse. Wen Gott zum Eiferer bevollmächtig, den lässt er in der Wüste unter dem Wacholder zusammenbrechen. In der Wüste muss Mose vierzig Jahre die Schafe Jethros hüten, in der Wüste zwischen Jerusalem und Damaskus wird der pharisäische Eiferer Saulus vom hohen Ross herabgeholt und unter den Wacholder geschleudert, wird ein heiliger Eiferer, der aus der Erkenntnis heraus eifert: "Ich bin nicht besser als meine Väter." Sie haben alle gewusst, was es heisst, unter dem Wacholder sitzen, jene Eiferer des 16. Jahrhunderts. Sie haben sich's nicht billig gemacht, das Eifern. Luthers Wacholder war die Klosterzelle. Zwinglis Wacholder war die Pestzeit. Seelsorger an den anderen sind diese Männer geworden durch Sorge um ihrer eigenen Seelen Seligkeit.

Herr, reinige deine Kirche von allem selbstgerechten Tun; segne sie mit heiligem Eifer. Amen.

Seid ihr Stimmen in der Wüste, / so verweist die Welt aufs Wort! / Führt die Kranken und Gesunden / zu des Heilands Blut und Wunden / als dem einzgen Gnadenhort! / Seid ihr Stimmen in der Wüste, / nun, so weist die Welt aufs Wort.

* 'Michel Servet' - Michael Servetus: spanischer Arzt, humanistischer Gelehrter und antitrinitarischer Theologe, wegen seinen Überzeugungen (Trinitätsfrage) am 27. Oktober 1553 in Genf durch Calvin auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.
** 2 Religionskriege bei Kappel am Albis von 1529 und 1531 zwischen den reformierten Kantonen unter der Führung Zürichs mit dem Reformator Huldrych Zwingli und den fünf inneren katholischen Berg-Kantonen. Zwingli selber kam in der 2. Schlacht ums Leben.

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