Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir das Ohr, dass ich höre wie ein Jünger. Jesaja 50,4
"Er" ist ja nicht der einzige, der uns weckt. Wir haben viele Wecker. Der Tag weckt uns und die Sonne, oder schon vor Tag der erste Hahnenschrei. Die Pflicht weckt uns und der Lärm der geschäftigen Welt. Kummer und Sorgen, oder freudige Erwartung, können unsere Wecker sein, Krankheit und bohrendes Siechtum, oder Gesundheit und Tatendrang. Aber nun weiss der Prophet noch um einen Wecker besonderer Art, um einen Hahnenschrei, der uns noch aus einem ganz anderen Schlaf wecken will und zu wecken vermag, vom Schlaf nicht nur des Leibes, sondern des Leibes und der Seele, vom Sündenschlaf. Dieser Weckruf, der uns für den ewigen Morgen weckt, kann nur aus der Ewigkeit ergehen. Habe ich ihn gehört, den Ruf von ganz oben herunter, der mich "alle Morgen weckt"? Habe ich mir "das Ohr wecken" lassen? Bin ich überhaupt bereit, alle Morgen zu hören? Wo liegt meine Bibel? Und er will mich so wecken, "dass ich höre wie ein Jünger". Das ist sehr viel, was Jesaja hier sagt. Wir wagen es ja kaum, den Jüngertitel auf uns gewöhnliche Christen anzuwenden. Und doch ist er hier der ganzen hörenden Gemeinde verheissen: "Dass ich höre wie ein Jünger." Das Besondere am Hören des Jüngers aber ist die Gnade unbedingten Gehorsams. Was immer Gottes Befehl sein mag, der Jünger weicht ihm nicht aus, sondern lässt sich hineinnehmen in die Nachfolge. Wenn wir jetzt auf die Gemeinde, auf die "Hörergemeinde" schauen, und wer gehört nicht zu ihr? dann hat man manchmal den Eindruck, dass das "Hören wie ein Kirchgänger" oft weit entfernt ist vom "Hören wie ein Jünger". Gott aber kann der Gemeinde "das Ohr wecken", dass sie anfängt zu "hören wie ein Jünger". Zuletzt am Ende aber wird noch ein letzter Weckruf ergehen, und dieser wird durch die Gräber dringen, von solcher Durchdringlichkeit wird er sein: "Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden."
Herr, wecke mich alle Morgen. Überwinde meine Trägheit und Herzenshärtigkeit. Öffne mir das Ohr für die Geheimnisse deines Wortes. Und, Herr, wenn der letzte Morgen über diesen Himmel und über diese Erde kommt, dann, o Herr, lass mich hören wie ein Jünger, der dein Erbarmen hat. Amen.
Wache auf, sonst kann dir nicht / Gottes Sonn aufgehen; / wache, sonst wird dir sein Licht / ewig ferne stehen; / denn Gott will / für die Füll / seiner Gnadengaben / offne Augen haben. Joh. Burchard Freystein