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26. Juni

Heiligung

Jaget nach der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen. Hebräer 12,14

Vom Bildhauer und Maler Michelangelo Buonarroti wird folgendes erzählt: Einst wanderte er mit einem Freund im Gebirge. Da blieb er auf einmal mitten auf dem Pfad stehen, verstummte und starrte wie gebannt vor sich hin. Sein Freund wusste zuerst nicht, was das bedeuten solle. Am Wegrand aber stand ein mannshoher Granitblock; in diesen hinein bohrte Michelangelo seinen Blick. Gefragt, was es denn da zu sehen gebe, gibt Michelangelo die Antwort, einen Engel habe er im Stein gesehen, einen Engel, den man mit Hammer und Meissel herausschlagen könnte. Solche Granitklötze am Wegrand sind wir Menschen; und wir sind berufen, Engel zu werden. Das heisst, ganz einfach gesagt, "Heiligung", der wir nachjagen sollen: Darnach trachten und darum ringen und besorgt sein, dass wir Granitblöcke Engel werden, denn ohne dieses Nachjagen "kann niemand den Herrn sehen". Das so genannte "Leben" hilft uns dabei viel. Es schlägt uns die Ecken ab und schleift uns die Kanten weg. Aber unter "Heiligung" ist wohl doch noch etwas anderes gemeint als dieses Abgeschliffenwerden. Ein abgeschliffener, ein oft nur allzu abgeschliffener Mensch ist noch kein Engel. Teufel sind auch gerieben und geschliffen und glatt. Sollen wir Engel werden, die Gott schauen, dann muss der Meister gehörig Hammer und Meissel an uns brauchen. Er allein kann aus uns Engel machen. Aber wie, wenn Gott mit Hammer und Meissel losschlüge und fände bis zuinnerst hinein an unserem Granitblock kein Material für einen Engel? Wenn bis zuinnerst verdorbener, fauler Stein wäre und schliesslich nicht ein Engel dastünde, sondern ein zertrümmerter Block? Weil dem so ist, und weil Gott das wohl weiss, dass an uns schlechtes Engelsmaterial ist, darum hat er anderswohin geschlagen, um uns zu erlösen und Engel aus uns zu machen. Und wie hat er geschlagen! Geissel und Hammer hat er gebraucht. Seinen Sohn hat er geschlagen. Dort am Karfreitag hat er den Hammer gebraucht. Dort hat er aus mir einen Engel herausgeschlagen, dort. Das, was er an uns tun müsste, hat er am Sohn getan. Jeder Schlag, der ihn trifft, will aus mir einen Engel machen. Dort bin ich erlöst, dort bin ich bekehrt, dort bin ich gerecht gemacht und geheiligt, dort.

Herr, dir will ich nachjagen. Du bist meine Heiligung. Amen.

Gib, dass in reiner Heiligkeit / wir führen unsre Lebenszeit, / sei unsres Geistes Stärke, / dass uns hinfort sei wohl bewusst, / wie nichtig sei des Fleisches Lust / und seine toten Werke. / Rühre, / führe / unser Sinnen / und Beginnen / von der Erden, / dass wir Himmelserben werden. Michael Schirmer

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