Mein Volk soll meiner Gaben die Fülle haben. Jeremia 31,14
Und der Mann, der dieses segenträchtige Wort sprach, wurde von seinem Volk gehasst bis zur Verfolgung und bis zur Anklage auf Hochverrat. Nur, weil er diesem Volk unbestechlich und treu den Willen Gottes kundgetan hat. Kein Volk, wirklich keines bis auf den heutigen Tag, verträgt die ganze biblische Wahrheit. Jeremia, der seinem Volk die Fülle der Gottesgaben verheissen darf, muss eben diesem Volk immer wieder sagen, dass nicht all sein Hab und Gut das ist, was Gott "meine Gaben" nennt. Jedes Volk lebt nicht nur von Gottesgaben, sondern auch von Raub und Gut, das es sich unter Verletzung der göttlichen Gebote angeeignet hat. An der Wiege jeden Volkes, auch des unsrigen, steht viel Unrecht. Und weil Jeremia, weil die Propheten Dinge, die als patriotisch gelten und allgemein gefeiert werden, so nennen, wie sie von Gottes heiligem Willen her müssen genannt werden, darum sind die Propheten alle von ihren Völkern gehasst worden. Und doch sind sie die besten Patrioten, indem sie die Botschaft verkündigen, dass nur Gerechtigkeit ein Volk erhöht, und dass jedes begangene Unrecht, sei es persönlich oder kollektiv begangen, irgendwelchen zukünftigen Zusammenbruch des Volkes vorbereitet. Es hat letzthin ein Patriot über sein Volk gesagt: "Wenn es eine göttliche Gerechtigkeit gibt (und es gibt eine), dann wird Gott mein Volk nicht schonen." Das ist aus jeremianischem Geist heraus gesprochen. Jeremia ist und bleibt ein Gast auf Erden. Gäste und Fremdlinge sind und bleiben wir Christen für die Welt. Auch wenn wir uns noch so bemühten, ansässig und heimatberechtigt zu werden, schaut die Welt unseren etwaigen Anbiederungsversuchen doch mit Argwohn zu. Solange wir "Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen" sind, können wir nicht anders, als mit dem Mann des 120. Psalmes bekennen: "Weh mir, dass ich ein Fremdling bin in Mesech! Ich halte Frieden; aber wenn ich rede (bekenne), so sagen sie Krieg an." Es gäbe nur eine Möglichkeit, eine unsagbar traurige, sich in dieser Welt fest zu bürgern. Das wäre die Verleugnung des Taufscheines, des himmlischen Bürgerbriefes.
Lieber Herr, stärke mich heute zum Bekennen, auch wenn es mich einsame Wege führt. Nimm die Menschenfurcht von mir. Rüste mich aus mit einem neuen, gewissen Geist. Amen.
Mein Gott und Schirmer, steh mir bei, / sei mir ein Burg, darin ich frei / und ritterlich mög streiten, / ob mich gar sehr / der Feinde Heer / anficht auf beiden Seiten. Adam Reusner