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2. März

Die Augenzeugen

…sprach er zu seinen Jüngern. Matthäus 26,1

Die Passion unseres Herrn ist geschehen unter Zeugen. Die Jünger sind die Hauptzeugen. Christus ist öffentlich gestorben. Sein Leiden soll gesehen, soll angeschaut werden. Es ist also durchaus richtig und gottgewollt, wenn die Gemeinde das Leiden ihres Herrn betrachtet. So will es Gott selber haben. Leiden anschauen, wenn es nicht von Berufs wegen geschehen muss, hat zwar sonst an sich etwas überaus Widersinniges. Das Leiden anderer ist nun einmal nicht da, um begafft zu werden. In der Natur selber ist es doch sonst so, dass das Leiden eher die Verborgenheit aufsucht. Die wilden Tiere fliehen den Blick des Menschen und verziehen sich in einen fernsten Winkel, wenn sie spüren, dass ihr Ende naht. Unser natürlicher Blick wendet sich denn auch am liebsten vom Leiden weg. Ein Mensch, der mit Fleiss fremdes Leiden sich zur Augenweide machte, wäre pervers. Wo das Leiden gross wird, da wendet sich der Mensch, wie jener todkranke König Hiskia im Alten Bund, "mit dem Gesicht gegen die Wand". So gibt es eine zarte Keuschheit um alles Leiden herum. Aber nun kommt der Menschensohn mit seinem Leiden und durchbricht all diese "Anstandsregeln", die sonst ums Leiden herum gültig sind. Des Menschen Sohn wendet sein Gesicht nicht gegen irgendeine Wand. Des Menschen Sohn, der sonst wo immer möglich für seine Taten den Schutz der Heimlichkeit aufsucht, gerade für sein Leiden sucht er nun nicht Deckung, sondern da erstrebt er nun mit Fleiss die allerdenkbarst mögliche Öffentlichkeit. Verborgen, ohne Augenzeugen, wollen die Feinde Jesu ihn beseitigen. Aber gerade das verhindert er ihnen dadurch, dass er den Gegenbeschluss fasst: Es soll aufs Fest hin, und zwar auf dasjenige Fest hin, das von allen Festen des Jahres am meisten Menschen nach Jerusalem führt, geschehen. Darum ist das Leiden des Menschensohnes offenbar für alle Welt ein Leiden zum Anschauen. Es sind Zeugen dabei, viele, viele Zeugen, die Jünger sind seine nächsten Kronzeugen.

Herr, habe Dank, dass ich die Botschaft von deiner Leidenstat hören darf. Reinige mich von aller unreinen Neugier und bereite selber meinen Blick zu. Amen.

Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, / mich in das Meer der Liebe zu versenken, / die dich bewog, von aller Schuld des Bösen, / uns zu erlösen. Christian Fürchtegott Gellert

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