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6. November

Der Mensch Hiob

Ich weiss gar wohl, dass ein Mensch nicht recht behalten mag gegen Gott. Hat er Lust, mit ihm zu hadern, so kann er ihm auf tausend nicht eins antworten. Hiob 9,2‑3

Da ist der Mensch Hiob, der Mann, der an einem einzigen Tag sein Hab und Gut und seine Kinder verliert, der Mann, der mit Schwären bedeckter Haut auf dem Aschenhaufen sitzt, umringt von seinen frommen Freunden und leidigen Tröstern, von seiner Frau, die ihn versucht und auffordert, Schluss zu machen mit solch einem Leben. Das ist der Mann, der sein namenloses Leiden in alle Längen und Breiten und Tiefen durchforscht und in stundenlangen Reden sich mit seinen Freunden auseinandersetzt und seine hundert Fragen an den Himmel stellt. Und das ist der Mann, der schliesslich merkwürdig still wird und dessen tausend Fragen schliesslich zusammenschmelzen in eine einzige Frage, nach seiner Seele Seligkeit. Das ist der Mann, der schliesslich hinsitzt wie ein Erstklässler, der sich in der Stube auf ein Stühlchen setzen und Bilderbücher zeigen lässt. So lässt sich Hiob schliesslich von Gott "Bilderbücher" zeigen, aus denen Hiob Gottes Majestät und Hoheit erkennen darf, um still, ganz still zu werden. Das ist der Mann, der schliesslich bekennt: "Ich weiss gar wohl, dass ein Mensch nicht recht behalten mag gegen Gott." "Ich weiss gar wohl, dass ich dir auf tausend nicht eins antworten könnte, wolltest du mit mir ins Gericht gehen." "Ich weiss gar wohl —", das ist sonst das schnellfertige Wort der Jugend. Die weiss alles gar wohl und hat gar rasch ihre Antworten bereit, und es sind viele Antworten, welche die Welträtsel zu lösen scheinen und doch nicht lösen. Es gibt aber eine Reife im Menschenleben, da wir nicht mehr so rasch sind mit diesem "Ich weiss gar wohl"; da wir zur Erkenntnis kommen: "Und sehe, dass wir nichts wissen können." Dort langt Hiob an. Aber nun erfolgt seine völlige Hinwendung zu seinem Gott: Ich weiss gar wohl, dass ich nichts weiss und dass du, grosser und majestätischer Gott, alles weisst. Wohl dir, o Mensch, wenn du eines Tages wie Hiob sagen kannst: "Ich weiss gar wohl —." "Weiss ich den Weg auch nicht, du weisst ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll."

Du, Allwissender, kennst sie, meine verborgenen und offenbaren Sünden, die wissentlichen und die unwissentlichen. Ich weiss ja wohl, dass deine Gnade allein mich trägt. Amen.

O selig, wer das Heil erwirbt, / dass er im Herrn, in Christo, stirbt! / O selig, wer, vom Laufe matt, die Gottesstadt, / die droben ist, gefunden hat. Christian Friedrich Heinrich Sachse

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