Lasset uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenthron, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird. Hebräer 4,16
"Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden" — wollen wir das? Ist es nicht sonderbar, ja verräterisch, dass so eindringlich muss aufgefordert und animiert werden zu diesem Empfangen und Finden? Sonst sind wir doch rascher bereit, dort zu erscheinen, wo es zu empfangen und zu finden gibt. Zur Gnade und Barmherzigkeit aber drängen wir uns keineswegs wie die Ameisen zum Honig. Wie kommt das nur? Es heisst hier, Gnade und Barmherzigkeit seien beim "Gnadenthron" erhältlich. "Gnadenthron!" ein gar seltsames Wort! Es will besagen, dass derjenige, aus dessen Hand wir die Gnade empfangen, nicht irgendeiner ist, sondern einer auf einem Thron. Das aber heisst wiederum, dass er damit, dass er uns seine Gnade schenkt, über uns herrschen will. Man kann zu diesem Thron nicht hinlaufen, dort unverbindlich "schmarotzen" und sich dann wieder aus dem Staub machen. Derjenige, der diese Gnade austeilt, will etwas haben mit dem, der sie empfängt. Die Gnade hat etwas Hoheitliches, wenn nicht gar Herrschaftliches an sich, das über uns Einfluss und Macht gewinnen will. Und das ist es eben, was unser alter Adam scheut und warum er dem Gnadenthron nicht gern zu nah kommt. Gottes Gabe wollen wir schon, aber wir wollen den Geber nicht. Nicht vom Gnadenthron möchten wir Gottes Gnade empfangen, sondern von einem weniger verbindlichen Ort. Darum wird es nötig, dass muss aufgefordert werden zum Hinzutritt. Wer aber mit demütigen Händen dem Gnadenthron naht, der erfährt, was für eine wunderbare Sache das ist, dass wir uns nicht dem Richtstuhl und der Guillotine nahen müssen, sondern dass Gott an die Stelle der Guillotine den "Gnadenthron" gesetzt hat.
Wer bin ich, Herr, dass du auch mich rufest? dass ich trotz allem, du kennst mich ja, mit Freudigkeit vor deinen Thron treten darf? Wahrlich, dein Erbarmen ist gross. Amen.
O Lebensfürst, o starker Leu, / aus Judas Stamm erstanden, / so bist du nun wahrhaftig frei / von Todes Strick und Banden. / Du hast gesiegt und trägst zum Lohn / ein allzeit unverwelkte Kron / als Herr all deiner Feinde. Paulus Gerhardt