Wir können's ja nicht lassen, dass wir nicht von dem reden sollten, was wir gesehen und gehört haben. Apostelgeschichte 4,20
Der jungen Christengemeinde ist ein Schweigegebot auferlegt worden vom jüdischen Hohen Rat, das heisst, von der geistlichen Oberbehörde. Eines der ersten "Maulkrattengesetze" der christlichen Kirchengeschichte. Die Gemeinde antwortet darauf: "Wir können's ja nicht lassen, dass wir nicht von dem reden sollen, was wir gesehen und gehört haben." Das tönt wie eine leidvolle Klage oder gar fast wie eine leise Entschuldigung; fast so, wie wenn ein notorischer Trinker oder ein krankhaft veranlagter Dieb sagt: "Ich kann's ja nicht lassen, möchte gern, aber 'es' ist mächtiger als ich; ich sehe mich einem fremden Willen untertan." Die Apostel müssen hier tatsächlich etwas tun, wovor einem Christenmenschen immer graut; sie müssen der direkten Obrigkeit den Gehorsam verweigern. Das Schweigegebot ist klar und ausdrücklich. Sie aber reden weiter und werden darum wegen Auflehnung und Gesetzesbruch vor die Schranken gerufen. Da wissen sie zu ihrer Rechtfertigung nichts anderes zu sagen als: "Wir können's nicht lassen —." Damit sieht sich die Gemeinde in die schwere konfliktbelastete Lage des leidenden Ungehorsams gedrängt. Es tönt das wie Luthers: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." Es ist von der Gemeinde hier an sich recht wenig verlangt. Man will sie durchaus in Ruhe lassen, nur soll sie schweigen. Das ist das einzige, was man von ihr verlangt, schweigen. Es hat stets, wenn die Kirche Christi Verfolgungszeiten durchmachte, einen Teil der Kirche gegeben, der durch freiwilliges Schweigen den Verfolgungen entging. Wo aber eine christliche Kirche sich die Verfolgung durch den Preis des Schweigens fernhält, da hat sie aufgehört, Kirche zu sein. Denn das Wort ist ihr einziges, das sie hat. Mit der Freiheit des Wortes steht und fällt die christliche Kirche. Wo das Wort unverboten darf verkündigt werden, da soll die Kirche es dankbar annehmen. Wo es aber verboten wird, dann kommt die Stunde, da es heisst: "Wir können's ja nicht lassen, dass wir nicht von dem reden sollten, was wir gesehen und gehört haben." Gesehen und gehört aber haben sie das Verbrechen der Obrigkeit an Christus und den Sieg des Gekreuzigten.
Herr der Kirche, habe herzlichen Dank, dass wir bis zur Stunde noch unverboten dein Wort verkünden durften. Gib, dass wir diese Freiheit in Verantwortung vor dir benutzen. Sei mit unseren verfolgten Brüdern. Amen.
Aus tiefer Not schrei ich zu dir, / Herr, Gott, erhör mein Flehen! /Dein gnädig Ohr neig her zu mir, / lass meine Bitt geschehen; / denn so du das willst sehen an, / was Sünd und Unrecht ich getan, / wer kann, Herr, vor dir bleiben? Martin Luther