Der Herr schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gebe. 5. Mose 10,18
Und doch, wenn wir auch Fremdlinge sind und "Hintersässen" in dieser Welt, sind wir doch froh und dankbar darüber, dass wir einer Obrigkeit unterstehen, und dass eine jegliche Obrigkeit von Gott ist, weil sie der Anarchie wehrt. Was es heisst, keinen irdischen Bürgerbrief zu besitzen, nirgends mehr zu Hause zu sein, das zeigt uns die Heilige Schrift darin, dass sie sagt: "Witwen und Waisen und — Fremdlinge." Was ein Fremdling ist, das wussten wir kaum mehr. Wohl lasen wir in der Bibel, dass Gott die Fremdlinge in einem Zug mit Witwen und Waisen nennt, aber wir verstanden nicht mehr so recht, warum die Not der Fremdlingschaft so schwer taxiert wurde wie die Not der Verwaisung und der Witwenschaft. Heute geht uns wieder eine Ahnung auf davon, was ein Fremdling ist. Die Fremdlinge, die Ausgespienen, sind die ärmsten Menschen, die auf Gottes Erdboden sein müssen. Was Fremdlinge in geistiger Hinsicht durchmachen müssen, das möchte man keinem toten Hund anwünschen, geschweige denn einem lebenden Menschen. Sie werden von Staat zu Staat geschoben (auch unser Land macht da mit!), an die Grenze gestellt wie ein Vieh, das man aus dem Stall hinauspeitscht, fallen von einem Gefängnis ins andere und von einem Nervenzusammenbruch in den anderen, bis sie schliesslich irgendwo still verzweifeln. Das sind die Fremdlinge. Man muss oft an die grausame Tierheit der Bienen denken, die etwaige Fremdlinge nicht ins Volk hineinlassen, sondern sie am Flugloch abzuwürgen pflegen. Man muss auch an ein Gedicht von Friedrich Nietzsche denken, in dem es heisst: "Die Krähen fliegen schwirren Flugs zur Stadt, bald wird es schnei'n, wohl dem, der jetzt noch Heimat hat." Aber nun heisst es hier, Gott habe die Fremdlinge lieb, dass "er ihnen Speise und Kleider gebe". Wie geht das zu? Den Elia am Bache Krith speisten die Raben. Den Fremdling will Gott so speisen, dass er die Taube des Heiligen Geistes sendet, die Menschenherzen bewegt und Hände öffnet. In den Berner Alpen steht ein Gebirgszug, der heisst "die Gastlosen". Oft fürchte ich, unser ganzes Land könnte eines Tages vor Gott diesen Namen erhalten.
Herr, erwecke in unserem Land das Erbarmen mit dem Fremdling, der kein Geld hat. Amen.
Sehende Augen gibt er den Blinden, / erhebt, die tief gebeuget gehn; / wo er kann gläubige Seelen finden, / die lässt er seine Liebe sehn. / Dem Fremdling steht er hilfreich bei, / Witwen und Waisen schützt er treu. / Halleluja, Halleluja. Johann Daniel Herrnschmidt