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1. April

Und siehe da —

Aber Jesus schrie abermal laut und verschied. Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von obenan bis untenaus. Matthäus 27,50‑51

Ein weithin hörbarer Schrei zeigt am Karfreitag um die dritte Nachmittagsstunde das Ende des Gekreuzigten an. Damit schliesst sich der Mund dessen, der die Wahrheit ist. Die Wahrheit ist unterlegen, die Lüge hat gesiegt. Der Erfolg der Lüge liegt wieder einmal vor aller Welt klar auf der Hand. Und der Erfolg hat recht. Das ist immer so gewesen, es wird auch hier kaum anders sein. Und nun erwartet man, dass es bald still werde um den Gekreuzigten. Bleibt jetzt höchstens noch der wortkarge Dienst der Totengräber, die der Wahrheit ein tiefes Grab schaufeln werden. Zuletzt sind ja noch immer die Totengräber gekommen —. Es darf uns das nicht wundern. Es ist noch immer so gewesen und wird auch hier nicht anders sein. Aber nun ist's hier tatsächlich anders gekommen. Nachdem der Berichterstatter das Verscheiden des Gekreuzigten gemeldet hat, fährt er zu unserer Überraschung fort: "Und siehe da!" Es gibt jetzt hier etwas zu sehen, etwas ganz und gar Unfassbares. Ein Leichnam hängt im Dunkel des Karfreitagabends. Aber: "Siehe da!" eine Hand greift ein. Sie greift dort hinein, wo die Feinde der Wahrheit ins Mark getroffen werden, sie greift ans Bollwerk der Lüge, an den Tempel derer, die die Wahrheit mit Erfolg gekreuzigt haben: "Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von obenan bis untenaus." Man denkt unwillkürlich ans Ereignis in Belsazars Königssaal, von dem Daniel berichtet und das Heinrich Heine mit den Worten umschreibt: "Und sieh, und sieh, an weisser Wand, da kam's hervor wie Menschenhand; und schrieb und schrieb an weisser Wand Buchstaben von Feuer; und schrieb — und schwand —." Die Lüge triumphiert. Die Wahrheit liegt am Boden. Der Herr ist unwirksam gemacht, gleichsam ausgeschaltet. Seine Arme hängen schlaff herunter, seine Augen sind gebrochen und sein Mund geschlossen. Aber "siehe da!" Gottes Handeln ist nicht ausgeschaltet, Gottes Mund ist nicht geschlossen, Gottes Augen sind nicht gebrochen, Gottes Arme hängen nicht schlaff herunter. "Siehe da!" Eine Hand! "Der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von obenan bis untenaus."

Ja, Herr, deine Rechte behält den Sieg. Amen.

Nicht mehr denn nur drei Tage lang / mein Heiland bleibt in Todes Zwang, / am dritten Tag durchs Grab er dringt, / mit Ehren seine Siegsfahn schwingt, / Halleluja! Johann Heermann

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