Lasset euch niemand das Ziel verrücken. Kolosser 2,18
Damit stellt uns Gott zunächst vor die sehr ernste Frage: Haben wir überhaupt ein Ziel? Es gibt ganze Abschnitte unseres Lebens, Jahrzehnte, Jahre, Monate und Tage, da wir entweder gar kein Ziel haben oder dann eine ganze Menge von Zielen. Sehr häufig ist's auch ein Ziel, das nur ein Scheinziel, in Wirklichkeit aber eine gefährliche Selbsttäuschung ist. All unsere zeitlichen Pläne, auch die schönsten und höchsten, können beispielsweise nicht echte Ziele sein. Sie werden uns früher oder später als Teil- und Scheinziele erkenntlich. Im günstigsten Fall können sie uns die kurze Strecke bis zum Grab genügen, um uns dort in grosser Verlegenheit stehen und liegen zu lassen. Wenn nun aber hier der Apostel mahnt: "Lasset euch niemand das Ziel verrücken", dann meint er nicht irgendeines von unseren selbsterwählten Lebenszielen, sondern ein ganz bestimmtes, eben "das Ziel". Es ist das Ziel aller Ziele, das eigentliche und einzige, das streng genommen diesen Namen verdient. Dies Ziel ist die Königsherrschaft Jesu Christi, das Reich Gottes, nach welchem wir "am ersten trachten sollen". Nun aber ist an dieser Bibelstelle das Eigentümliche, dass sie uns zeigt, wie nicht bloss die Teil- und Schein-Ziele dieser Welt uns das Ziel verrücken können und uns auf Abwege und Holzwege zu verlocken vermögen. Es ist ein Ausdruck der List des Bösen, dass die Verrückung unseres Zieles auch in religiösen Formen, ja sogar in christlichen Formen daherkommen kann. Der Teufel pflegt auch im frommen Gewand, ja im sehr frommen Gewand, Marksteine zu versetzen und uns durch falsche Ziele zum Narren zu halten. Lies nur dies ganze Kapitel, ja diesen ganzen Brief. Eine "selbstgewählte Geistlichkeit und Demut", ein Netz von frommen Satzungen, eine selbergezimmerte Himmelstreppe, die man "in Demut und Geistlichkeit" hinaufsteigt, kann uns das Ziel verrücken, jenes Ziel, das durch den schmalen Weg der Vergebung, durch die enge Pforte der Sündergnade führt.
Herr, zeig mir den Abgrund der Welt und den Abgrund selbstgewählter Geistlichkeit. Lass mich bis zum Ende nicht abirren vom Ziel. Sei du selber mein Anfang und mein Ende. Dein Heiliger Geist führe mich auf rechter Bahn. Amen.
Heiliger Herre Gott, / heiliger starker Gott, / heiliger barmherziger Heiland, / du ewiger Gott, / lass uns nicht entfallen / von des rechten Glaubens Trost. / Kyrieleison. Martin Luther