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1. Juli

Das Senfkorn

Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und säte auf seinen Acker. Matthäus 13,31

Es gab eine Zeit, da wir meinten, dies Wort sei nun endgültig in Erfüllung gegangen. Unsere Augen sahen die festgegründeten Kirchen des Abendlandes, die Kirche Roms mit ihrer beispiellosen Organisation, und die evangelischen Kirchen Europas und Amerikas mit ihren siegreichen Missionen, imposanten Weltkonferenzen und sorgfältig ausgebauten Bibelanstalten. Dabei sahen wir nicht genügend, wie damit die christlichen Kirchen dem Zug dieser Welt verfielen, indem auch sie die Massstäbe und Begriffe und sogar die Zahlen, die in dieser Welt Geltung und Ansehen haben, auf sich anwendeten, indem sie sich entweder ihrer Kleinheit schämten und sie beklagten oder auf der anderen Seite nach Möglichkeit den irrsinnigen Wettlauf nach Masse, Macht und Quantum kräftig mitmachten. Dabei kannten wir ja das Gleichnis vom Senfkorn wohl. Aber wir erlaubten uns, es so auszulegen, als wäre das, was die Welt heute an Kirche und Christentum vor Augen hat, bereits der Baum, in dem die Vögel des Himmels wohnen können. Und nicht nur die Vögel des Himmels, wir selber bauten warme Nester in den Schatten dieses vermeintlichen Himmelreichsbaumes und fingen an, in den Zweigen dieses Baumes uns in Sicherheit zu wiegen. Jetzt aber ist dem fast plötzlich anders geworden. Ein Sturmwind fährt durch den Baum und scheucht die Christen aller Völker auf aus ihren Nestern. Ein Tosen und Krachen geht durch die Welt, durch Kirchen und Kapellen, und wir erkennen, dass das, was wir mit dem Baum im Gleichnis vom Senfkorn verwechselten, eher eine Treibhauspflanze war, nicht wetterfest genug, um standzuhalten der Hitze und dem Sturm. Wir tun darum als Christen gut, unsere Aufmerksamkeit wieder mehr dem kleinen, armen Senfkorn zuzuwenden, von dem der Herr der Kirche im Gleichnis sprach. Das aber will uns heutigen Christen in der Stunde der Besinnung über die Kirche sagen: Das Senfkorn ist durchaus nicht ein überwundenes Wachstumsstadium, das für die Kirche dieser Zeit jemals überholt wäre.

Herr der Kirche, lenke du selber mit deinem Wort und Geist unser Reden und Hören. Habe Dank für das Licht und den Trost deines Wortes. Amen.

Heiland, deine grössten Dinge / beginnst du stille und geringe. / Was sind wir Arme, Herr, vor dir? / Aber du wirst für uns streiten / und uns mit deinen Augen leiten; / auf deine Kraft vertrauen wir. / Dein Senfkorn, arm und klein, / wächst endlich ohne Schein / doch zum Baume, / weil du, Herr Christ, / sein Hüter bist, / dem es von Gott vertrauet ist. Albert Knapp

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