Die Rache ist mein, ich will vergelten. 5. Mose 32,35
Da fragen wir gewöhnlich, wenn wir dieses Wort hören: "Was ist das für ein Gott, der also redet? Wie verträgt sich dies furchtbare Wort mit dem anderen, das sagt, dass Gott die Liebe ist? Ist das etwa nur der "niedrige, der untermenschliche Gott des Alten Bundes"? In der Heiligen Schrift steht nirgends ein Sterbenswörtchen davon, dass der Gott des Alten Bundes ein anderer sei als der Gott des Neuen Bundes. Aber es stehen sehr viele Worte im Neuen Testament, die sagen, dass hier und dort, dort und hier ein und derselbe Herr und Vater redet, der Vater unseres Herrn Jesu Christi und der Herr der Völker. Der Gott, der hier sagt: "Die Rache ist mein, ich will vergelten", ist der Vater unseres Herrn Jesu Christi. O ihr neunmalweisen Besserwisser! dieweil ihr am Gott des Alten Testamentes herumkritisiert, merkt ihr nicht, wie ihr langsam, langsam anfinget, das rächende Schwert an euch zu reissen, und die Vergeltung eigenmächtig selber zu üben? Seien wir doch froh, dass Gott uns so deutlich alle Rache und alle Vergeltung und bluträcherische Selbsthilfe verbietet und entzieht, indem er sie in eigene Verwahrung nimmt und sagt: "Die Rache ist mein, ich will vergelten"; das heisst eben: Die Rache ist nicht euer, sie ist mein. Gott kommt einem hier vor wie eine Mutter, die den Kindern die gefährliche Schere entwindet, damit sie nicht sich selber und den Geschwistern die Augen ausstechen. Du hast etwas wider deinen Bruder. Das heisst, dass du dich entscheiden musst: Entweder Selbsthilfe durch eigene Rache und eigene Vergeltung, oder aber getroster Glaube, dass es eine göttliche Gerechtigkeit gibt und dass Gott das Schwert des Rächers besser zu führen versteht als wir Kinder, die wir mit der Schere hantieren. Wir aber wollen lieber uns die Augen ausstechen, wollen lieber die Rache an uns reissen, als dem Gott der Liebe und der Gerechtigkeit zutrauen, was er sagt: "Die Rache ist mein, ich will vergelten."
Herr, schaffe in deiner Gemeinde ein Warten und Harren auf den Eingriff und Zugriff deiner starken Vaterhand. Erlöse deine Gemeinde von den Geistern des Hasses und der Rache. Erbarme dich der Nationen. Amen.
O lass dein Licht auf Erden siegen, / die Macht der Finsternis erliegen / und lösch der Zwietracht Glimmen aus. / Dass wir, die Völker und die Thronen, / vereint als Brüder wieder wohnen / in deines grossen Vaters Haus. Friedrich Rückert