Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Philipper 2,12
Es gibt in der ganzen Heiligen Schrift keine einzige Stelle, die der menschlichen Willenlosigkeit das Wort redete. Der Wille ist ein Geschenk des Schöpfers. Er hat uns ein Hirn gegeben zum Denken, Beine zum Gehen, eine Stimme zum Reden und einen Willen zum täglichen, ja zum stündlichen Gebrauch. So sehr stellt Gott unseren Willen unter sein Gebot, so sehr spannt er unseren Willen ein, dass er ihn sogar dort anfordert, wo man's zuallerletzt erwarten sollte, dort, wo es um unserer Seelen Seligkeit geht. "Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern." Was soll da unser Wille? Was soll da unser menschliches Schaffen? Der Himmel ist so hoch! Die Hölle ist so tief! Was soll unser Wollen in Anbetracht solch unüberwindlicher Höhen und Tiefen? Was soll mein Wille zwischen den glatten Wänden auf dem Grund einer Gletscherspalte? So fragen wir. Aber Gott gibt zur Antwort, als hätte er unser Fragen nicht gehört: "Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern." Aber steht dies Wort nun nicht im krassesten Widerspruch zu allem, was wir über die Seligkeit bis dahin überhaupt gehört haben? Kann ein Mensch seine Seele retten? Und was kann er tun, um seine Seele zu retten? Was soll denn da mein Fürchten und mein Zittern? Gewiss, ich werde durch mein Fürchten und durch mein Zittern kein Haar weiss oder schwarz machen und keine Seligkeit erlangen. Und doch, wer nichts weiss von den Möglichkeiten des göttlichen Zornes, der wird auch nie die Süsse des väterlichen Wohlgefallens schmecken. Mit dem Verstand kommt man da nicht durch. Alles ist hier Widerspruch für deinen Verstand, nichts ist hier Widerspruch für ein armes Herz. Gott schafft unser Heil, und Gott schafft das Wollen und das Vollbringen, beides. Und Gott will zugleich, dass wir unser Heil schaffen mit Furcht und Zittern.
Herr, schaffe du in mir das Fürchten und das Zittern, halte mir die ganze Güte und den ganzen Ernst des ewigen Heils und der ewigen Verdammnis vor Augen, damit ich früh dein Heil ergreife. Amen.
O Ewigkeit, du Donnerwort, / o Schwert, das durch die Seele bohrt, / o Anfang sonder Ende! / O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit, / ich weiss vor grosser Traurigkeit / nicht, wo ich mich hinwende. / Mein ganz erschrocknes Herz erbebt, / dass mir die Zung am Gaumen klebt. Johannes Rist