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16. Juli

Der Kirchhügel

Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zur rechten Zeit. Das sollen gnädige Regen sein, dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land sein Gewächs geben wird. Hesekiel 34,26‑27

Als es in Europa noch christliche Dörfer und Städte gab, da zeigte sich das äusserlich oft darin, dass die Häuser um die Kirche oder Kapelle herumlagerten, das Gotteshaus aber gewöhnlich auf einer Anhöhe stand. Diese Anordnung der Wohnstätten war keine Zufälligkeit. Sie stammte letztlich aus dem Glauben heraus, dass Gott "segnen will alles, was um meinen Hügel her ist". Die Ansiedlungen schmiegten sich wie Küchlein ans Gotteshaus. Dieser Glaube weiss um das Geheimnis des Segens. Man will nicht wohnen, will nicht essen und schlafen und schaffen, man will nicht geboren werden oder sterben, es sei denn unter Gottes segnender Hand und unter Gottes schützenden Flügeln. Segen und Gottesfurcht aber gehören zusammen. Man wusste um das Psalmwort: "Es segne uns Gott, unser Gott, und alle Welt fürchte ihn." Es kam dann die Zeit, wo man diese inneren Zusammenhänge ausser Acht liess. Man nannte dann keck Gottes Segen, was man durch List und Rücksichtslosigkeit sich zugeeignet hatte, Gott aber fällt nicht herein auf solch frommen Betrug. Wo du die Ellenbogen brauchst, da kannst du es zwar noch zu viel Ehre, Gut und Macht bringen; aber Gottes Segen ist dann dahin. Gottes Segen liegt nicht auf dem Gebrauch der Ellenbogen, sondern auf dem Gebrauch der Knie. Darum musste die Stadt und das Dorf um den Gotteshügel herum zerfallen und zerstreut werden in alle Winde, weil man wohl noch äusserlich um den gesegneten Hügel herum wohnte, aber längst mehr an die Ellenbogen glaubte als an die Kniebogen. Und nun ist die Entwicklung weitergeschritten. Hesekiel redet von "gnädigen Regen". "Niederschlag" sagt dem der moderne Bauer. Entsetzliche Wandlung des Denkens! Segen nennt die Schrift die Fruchtbarkeit der Matten. Wir nennen es "Arbeitsertrag" und Produktion. Wir haben das Geheimnis der Fruchtbarkeit verloren. Wir sind ein "verkehrtes und ehebrecherisches Geschlecht". Wir haben Angst vor Fruchtbarkeit. Fruchtbarkeit heisst jetzt Überproduktion, Kindersegen heisst "unverantwortliche Dummheit".

O Herr, rette uns aus der Sintflut dieser Tage. Amen.

Wir stolze Menschenkinder / sind eitel arme Sünder / und wissen gar nicht viel. / Wir spinnen Luftgespinste / und suchen viele Künste / und kommen weiter von dem Ziel. Matthias Claudius

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