Unsere Missetaten stellst du vor dich, unsere unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht. Psalm 90,8
Es ist eine Tatsache, die einem gleich in den ersten Anfängen seines Lebens mit Christus aufgeht, dass man nicht imstande ist, seine Missetaten selbst zu erkennen. Im Gegenteil, wir sind sehr imstande, unsere Missetaten ins Reich des Unterbewussten zu verstauen und zu versorgen. Wir gleichen in unserem Leben jenen berühmten Hausfrauen, die in ihren Zimmern tadellose Ordnung haben, aber umso mehr Unordnung hinter den Schranktüren und Vorhängen. Unser Leben steht voll von Kästen und Truhen, hinter die wir unsere Missetaten verschwinden liessen, oft mit ganz merkwürdiger Wendigkeit und Eleganz. Daraus ist jener merkwürdige Vorrat entstanden in unserer Seele, den die Bibel "unerkannte Sünde" nennt. Auch die beliebte Selbsterkenntnis hilft da nichts. Nur Gott ist imstande, solch "unbekannte Sünde", eine ganz besonders zähe Sorte, an der aber manch ein Leben heimlich krankt und siecht, aufzudecken und hervorzuziehen. Wo das geschieht, wo ein Mensch anfängt, bereit zu werden dazu, dass Gott seine unerkannte Sünde aufdeckt, da ist solchem Menschen Heil widerfahren. Denn Gott stellt diese Sünde nicht "vor uns", macht uns nicht langweilige "Vorstellungen", sondern er stellt diese Sünde, wie es in unserem Psalmwort heisst, wunderbarerweise "vor sich". Das ist das gottselige Geheimnis des Heils, dass Gott die Schuld nicht vor den Sünder stellt wie einen unbesteigbaren Viertausender, der ihn erdrücken müsste, sondern, dass er die Schuld der Menschen vor sich selber stellt. Ja er stellt sie nicht nur vor sich, sondern er nimmt sie auf sich. Und nun kann Ordnung werden, nicht Scheinordnung, sondern Ordnung.
Vater, du weisst alles. Du bist gross in deiner Vergebung und in deinen Gerichten. Mach mich völlig bereit, mir meine verborgenen Sünden aufdecken und zudecken zu lassen. Amen.
Wenn mich die Sünden kränken, / o mein Herr Jesu Christ, / so lass mich wohl bedenken, / wie du gestorben bist / und alle meine Schuldenlast / am Stamm des heil'gen Kreuzes / auf dich genommen hast. Justus Gesenius