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5. Juni

Die Predigt

Und sie fingen an, mit anderen Zungen zu predigen, nach dem der Geist ihnen gab, auszusprechen. Apostelgeschichte 2,4

Endlich "fingen sie an". Es wirkt wie eine Befreiung, dass der Mensch nun doch endlich auch drankommt und sich betätigen darf. Angefangen hat Gott ohne die Menschen, und erst jetzt und nur darum, weil Gott anfing, dürfen jetzt auch die Menschen anfangen. Aber was fangen sie an? Hoffentlich was Rechtes! Sie haben lang genug warten müssen. Sie fingen an zu — predigen! Das scheint ja zunächst sehr wenig zu sein. Das Predigen gilt in aller Welt als etwas Minderwertiges. Wenn der Volksmund das Wort braucht, ist es bezeichnenderweise im verächtlichen Sinn. "Alles Predigen", so heisst es etwa im Gespräch über den schwierigen Jungen, "hilft nichts." Oder wenn einer nutzlos auf uns einschwatzte, dann konnten wir etwa hintendrein sagen, "er habe uns eine lange Predigt gehalten". Und nicht wenige Klagen über die Kirche lauten, "sie predige nur". Bei Jeremias Gotthelf fand ich das Sprichwort, das in gewissen Teilen unseres Berner Landes umgeht, gewiss nicht ohne Schuld der Kirche: "Lügen wie eine Leichenpredigt." Und nun fingen sie dort in Jerusalem am Pfingstmorgen an zu predigen. Und dazu nicht einmal geistreich. Die Pfingstpredigt, die uns von Petrus erhalten ist, käme manchem modernen Menschen langweilig vor. Sie predigen nicht so, dass unser Menschengeist es wohlig einschlürfen könnte, und dass die Zuhörer es als einen "Hochgenuss empfinden". Sie reden überhaupt nicht "lebensnah", weil sie ja nicht aus dem herausreden, was wir "leben" nennen, sie reden ja nicht aus sich heraus, sondern ein jeglicher sagt, was ihm der Geist gibt, auszusprechen. Ihre Predigt besteht einfach darin, dass sie erzählen, was Gott seit alten Zeiten und bis auf die gegenwärtige Stunde durch Christus getan hat. Sie zählen Gottes Taten auf und bringen ihm Lob und Ehre dar. O könnten wir doch wieder predigen! So predigen, wie es hier am Pfingsttag in Jerusalem geschieht! Und könnten wir doch auch wieder so Predigt hören!

Schaffe du durch deinen Heiligen Geist dem Worte Raum. Du weisst, wie nichtig unsere Menschenworte sind. Du kannst machen, dass wir mit anderen Zungen anfangen zu reden und mit anderen Ohren hören. Amen.

Du wertes Licht, gib uns deinen Schein, / lehr uns Jesum kennen allein, / dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland, / der uns bracht hat zum rechten Vaterland. / Kyrieleis. Martin Luther

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