Mit denen von Milet und Ephesus kniete Paulus nieder und betete mit ihnen allen. Apostelgeschichte 20,36
Ich habe noch ganz wenig Menschen angetroffen, die überhaupt nie beten. Und wo einer mit seinem Nichtbeten eine laute Sache macht, da traue ich ihm nicht ganz und glaube, dass sein Äusseres seinem Inwendigen nicht entspricht. Soweit ich sehe, beten viel mehr Menschen, wenigstens so gelegentlich, als wir meinen. Aber wir bleiben mit unserem Gebet allein. Wir hüten es wie einen verborgenen Schatz, den man vor den Mitmenschen nicht gern zeigt. Man kann als Mann und Frau miteinander leben, und jedes betet, aber keines weiss vom anderen, dass es das tut. Oder man kann jahrzehntelang nebeneinander essen und schlafen und ganz in der Verborgenheit auch beten, und weiss es überhaupt nicht voneinander. Es gibt Menschen, die gleichen jenem Kieselstein, der, wenn man ihn zerschlägt, zuinnerst einen hellen Kristall, umschlossen von einer dicken Steinschicht, verbirgt. Es gibt eine Schamlosigkeit des Betens, aber es gibt auch eine unerlaubte Schamhaftigkeit des Gebets. Der Apostel Paulus weiss, was Gebetskeuschheit heisst und was das "stille Kämmerlein" bedeutet. Aber nun nimmt er Abschied von den Ältesten von Ephesus. Sie werden ihn nicht mehr sehen. "Und", sagt er ihnen, "das weiss ich, dass nach meinem Abschied werden greuliche Wölfe kommen, die der Herde nicht verschonen werden." In Erwartung solcher Ereignisse geht der greise Apostel mit den Leitern der solchen Gefahren ausgesetzten Gemeinde in die Knie, und er betet "mit ihnen allen". Das Gebet gehört nicht nur ins stille Kämmerlein, es gehört auch in die Gemeinschaft. Dasjenige Gebet, das uns der Herr gelehrt hat, ist ein Gemeindegebet. Freilich kann auch das Gemeindegebet, genau wie das persönliche im Kämmerlein, erkranken. Die Gefahr, die hier lauert, ist die Schwatzhaftigkeit und geistliche Eitelkeit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist im kleinen Kreis, wo das Wort Gottes gelesen und gemeinsam besprochen wird, das Gebet freizugeben. Da kann es geschehen unter der Zucht des Wortes. Paulus geht mit den Ephesern in die Knie. Das Gebet auf den Knien ist nicht ein Gesetz, sondern ein Geheimnis. Es ist ein Geheimnis, dass uns grosse Not auf die Knie wirft.
Herr, schenk deiner Kirche, schenk unseren Häusern und Ehen die Gebetsgemeinschaft. Amen.
Lass uns so vereinigt werden, / wie du mit dem Vater bist, / bis schon hier auf dieser Erden / kein getrenntes Glied mehr ist. / Und allein von deinem Brennen / nehme unser Licht den Schein; / also wird die Welt erkennen, / dass wir deine Jünger sein. Nikolaus Ludwig v. Zinzendorf