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17. Mai

Das Meer

In der vierten Nachtwache kam Jesus zu seinen Jüngern und ging auf dem Meer. Matthäus 14,25

Das Meer ist im ganzen Alten Testament der Inbegriff des Feindseligen und des Schrecklichen. Darum wird vor allem in den Psalmen nicht selten extra erwähnt, dass die Verheissungen Gottes sich bis zu den Fischen im Meer erstrecken. Das will sagen, dass Gott der Herr ist auch über den unheimlichsten Schreckensort, auch der Herr übers Meer. Das Meer, das die Ägypter ersäuft, ist der Ort des Grauens. Und wenn in Daniels Traum "die vier Winde unter dem Himmel stürmten widereinander auf dem grossen Meer", und wenn aus diesem Meer die vier Tiere ihre grauenvollen Häupter erheben, dann liegt das auf derselben Linie wie alles, was uns übers Meer berichtet wird. Von hier aus haben wir nun den ganz merkwürdigen Klang der Worte zu hören, die berichten, dass Jesus auf dem Meer ging: "In der vierten Nachtwache kam Jesus und ging auf dem Meer." Das Meer ist für die Jünger eben nicht nur ein naturhistorischer Begriff, sondern der Inbegriff des Wilden und Unheimlichen. Und nun sehen sie ihren Meister kommen über das Meer! Kein Wunder, schreien sie zuerst laut heraus vor blassem Schreck und meinen, sie sähen ein Gespenst über die Wellen daherkommen. Aber umso grösser ist dann ihr Jubel und ihr Dank. Ihr Meister ist der Herr auch des stürmenden Meeres mit all den Schrecknissen der Tiefe, die es birgt. Er ist der Herr des Meeres, weil Gott seinen Thron aufgerichtet hat über dem Meer (Daniel 7). Darum, weil der Vater seinen Sohn erhöhen wird auf diesen höchsten Thron, darum, weil es Himmelfahrt werden wird, darum geht hier derjenige, der vom Vater gesandt ist, königlichen Schrittes übers Meer. Er geht nicht nur übers Meer. Der Fuss, der hier übers Meer wandelt, wird durchs Grab gehen und durch die Hölle unversehrt.

Herr, du bist hoch erhaben über alles, was uns schrecken will. Du kennst einen Weg in tiefen Wassern. Sei mir, der du in der Höhe thronst, nahe in der Stunde der Anfechtung. Amen.

Und wo du kommest hergezogen, / da ebnen sich des Meeres Wogen, / es schweigt der Sturm, von dir bedroht. / Du kommst, auf den verheerten Triften / des Lebens neuen Bund zu stiften, / und schlägst in Fessel Sünd und Tod. Friedrich Rückert

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