Das ist mir lieb, dass der Herr meine Stimme und mein Flehen hört. Denn er neigte sein Ohr zu mir, darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. Psalm 116,1‑2
Einst wurde ich zu einer viel heimgesuchten Greisin gerufen, die nun zu ihrem sowieso schweren Los hinzu in ihrem hohen Alter einen schweren Unfall erlitten hatte. Eine Rückgratverletzung hatte sie sich zugezogen und musste infolgedessen in ihren alten Tagen noch das Liegen im Gipsbett lernen. Offen gestanden, stieg ich zögernd und mit heimlicher Furcht im Herzen die Treppen empor und konnte nicht anders, als Gott inständig bitten, er selber möge mir doch bei der bevorstehenden Begegnung das rechte Wort in den Mund legen. Wer aber begreift nicht mein Erstaunen, als ich beim Eintritt ins Krankenzimmer von der Leidenden mit den Worten empfangen wurde: "Der 116. Psalm, Herr Pfarrer, oh, der 116. Psalm!" Die lebendig Eingemauerte hatte die offene Bibel vor sich liegen und war eben dran, diesen Psalm zu lesen. Wir durften es dann gemeinsam tun. Er beginnt mit den Worten: "Dies ist mir lieb —" Was denn? Was ist diesem Mann lieb? Ach, es gibt gar viele Dinge, die uns im Leben lieb sind! Hier aber ist ein Mensch herangereift zu der einzigartigen Erkenntnis, dass ihm dies eine lieb und teuer wurde: "Der Herr hört meine Stimme und mein Flehen." Lang irrt der Mensch, und manch eine nichtige, "unglückliche Liebe" führt uns am Narrenseil herum und muss uns zunichte werden, bis dass uns Gottes gnädige Zuneigung und Menschwerdung lieb und teuer wird. Wohl dem, der im Gips Bett irdischer Bedrängnis im Glauben sprechen kann: "Das ist mir lieb, dass der Herr meine Stimme und mein Flehen hört." Lies den Psalm ganz!
Darum will ich nicht mehr aufhören, dich anzurufen, darum, weil du, o Herr, in deiner unergründlichen Güte dich zu uns Menschen herabgeneigt hast. Ja, Herr, du hörst das Schreien deiner Kinder, du hast ein Ohr und ein Herz für die Mühseligen und eine Hand, die helfen kann. Amen.
Heute geht aus seiner Kammer / Gottes Held, / der die Welt / reisst aus ihrem Jammer. / Gott wird Mensch, dir, Mensch, zugute, / Gottes Kind, / das verbindt / sich mit unserm Blute. Paulus Gerhardt