Siehe, er betet. Apostelgeschichte 9,11
"Siehe!" Was gibt es denn da zu sehen, wenn einer betet? Soll man denn da nicht viel eher eben nicht sehen? Gibt es nicht eine klare Weisung des Herrn, die das Beten in die Verborgenheit verlegt, ins "stille Kämmerlein"? Gewiss, der Schreiber der Apostelgeschichte weiss um das Herrnwort, das ein Mahnwort ist gegen das pharisäische Beten an den Strassenecken und in den Schulen hin und her. Und doch sagt er hier: "Siehe!" "Siehe, er betet!" Hier gibt es tatsächlich etwas zu sehen, und es gibt ein Beten nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern es gibt auch ein Beten, das ein Bekennen ist vor der Welt. Mit dem Mann, der hier betet, hat es eine besondere Bewandtnis. Saulus, der hier betet, war vor einer Stunde noch ein grimmiger Verfolger der Christengemeinde. Und nun "siehe!", "siehe!" nun betet er. So kann's kommen. Und alle Welt soll wissen, wie seltsame Wendungen Gott in einem Nu herbeiführen kann. Wir wollen's nicht vergessen, wenn wir die Kunde von Verfolgern und Verfolgten hören aus aller Welt. Weil Gott das Heft in der Hand hält, darum kann es von einem Christenverfolger eines Tages plötzlich heissen: "Siehe, er betet!" Aber wenn es nun hier heisst "siehe!", dann ist im tiefsten Grund hier nicht der Beter zu sehen, sondern derjenige, der in einer Stunde aus Verfolgern Beter macht. Ihn meinen wir, und nur ihn können wir streng genommen meinen, wenn wir sagen: "Siehe, er betet!", ihn, der uns sein Gebet, das Herrngebet, geschenkt hat, ihn, den wir beten sehen in stiller Nacht an einsamen Örtern, auf Bergesgipfeln und an wüsten Ufern, ihn, den wir beten sehen in seiner Passion, dort, wo er hohepriesterlich einsteht für seine Gemeinde, und dort, wo er im stillen Gehöft in die Knie sinkt und in Gebet und Flehen und starkem Geschrei und Tränen vor dem Vater liegt. Siehe, er betet, er betet noch dort am Kreuz: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Und siehe, er betet im höheren Chor, in der Erhöhung zur Rechten des Vaters, dort ist er unser Fürsprecher und Fürbitter. "Siehe", alle Welt sehe auf ihn, und alle Engel sollen ihn sehen, und aller Kreatur ist hier zugerufen: "Siehe, er betet!" — Er!
Herr, weil du betest, weil du betest Tag und Nacht, darum lebe ich noch, und darum gibt es noch eine Welt. Bitt für uns arme Sünder. Amen.
Brunn alles Heils, dich ehren wir / und öffnen unsern Mund vor dir; / aus deiner Gottheit Heiligtum / dein hoher Segen auf uns komm. Gerhard Tersteegen