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20. Juli

Wir Fromme

Wir segnen euch, die ihr vom Hause des Herrn seid. Psalm 118,26

Eine Hausbesitzerin klagte mir letzthin, ihr Mieter sei ein gar frommer Mann. Sie habe nun ein Jahr im Frieden mit ihm gelebt. Am Silvester nach dem Mittagessen bringe er ihr freundlich den restlichen Zins fürs Jahresende und teile ihr mit, er werde jetzt mit seiner Frau für einige Tage in die Ostschweiz reisen; sonst kein Wort — und am gleichen Abend bringe der Briefträger die eingeschriebene Kündigung dieser Leute: "Sehen Sie, Herr Pfarrer, so sind eben eure Frommen, sie sind verdruckt und hinterlistig, dürfen einem nie grad in die Augen sehen usw. —" Es ist ja tatsächlich so, dass wir unserem Herrn viel Verdruss bereiten und seinem Namen oft wenig Ehre bereiten und seine gute Sache mit unserem miserablen Verhalten oft genug in Verruf bringen. Jedes Geschäft würde einen Angestellten oder Arbeiter, der derart kreditschädigend oder verrufend wirkt, fristlos entlassen. Wenn aber Gott so vorgehen wollte, wir hätten augenblicklich alle die Kündigung. Und doch schreibt andererseits einmal der Apostel Paulus, der weiss, was wir Fromme für ein Gemächte sind, seinem jungen, noch wenig erfahrenen Mitknecht Timotheus, gegen einen Gemeindeältesten solle er nie Klagen entgegennehmen, ausser es seien regelrechte Zeugen vorhanden. Das schreibt der Apostel, weil er erfahrungsgemäss weiss, wie sehr "die vom Hause des Herrn" ganz besonders dem Besenwurf übler Nachrede ausgesetzt sind. "Die vom Hause des Herrn", die Frommen, haben tatsächlich, soweit sie sich zum Herrn bekennen, zu allen Zeiten nicht für verleumderisches Geschwätz und dunkles Gespött zu sorgen. Wie sehr es hier auch "menschelet", der Teufel hat ein ganz besonders grosses Vergrösserungsglas bereit für die Sünden der Frommen. Ein schöner Teil der schmutzigsten Witze beginnt mit den Worten: "Jener Pfarrer —" umso heller leuchtet auf diesem Hintergrund das Wort des 118. Psalmes, das "die vom Hause des Herrn" segnet. Gottes Gericht fängt an beim Hause Gottes. Aber gottlob war dem Hause des Herrn auch Gottes Segen nie versagt, wo immer es nicht durch Hochmut geblendet, sondern durch Busse geheiligt war.

Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt. Heilige du deine Kirche an Haupt und Gliedern, reinige deinen Tempel und baue dein Haus. Amen.

Dringe ein, dringe ein, / Zion, dringe ein in Gott! / Stärke dich mit Geist und Leben, / sei nicht wie die andern tot! / Sei du gleich den grünen Reben. / Zion, in die Kraft statt Heuchelschein / dringe ein, dringe ein. Johann Eusebius Schmidt

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